Recht der Eingliederungshilfe
Änderungen durch das Bundesteilhabegesetz (2020)
Häufig brauchen Menschen mit Behinderung Unterstützung in den verschiedensten Bereichen des alltäglichen Lebens. Solche Unterstützung sollen insbesondere die Leistungen der Eingliederungshilfe gewährleisten. Das Ziel ist dabei die möglichst selbstbestimmte Teilhabe am Leben.
1. Wer erhält Leistungen der Eingliederungshilfe?
- Eingliederungshilfe erhalten Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung wesentlich in ihrer Fähigkeit eingeschränkt sind, an der Gesellschaft teilzuhaben (wesentliche Behinderung). Auch Menschen, die von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe
- Bei der Prüfung, ob eine geistige Behinderung als wesentlich einzustufen ist, gilt: Für die Beurteilung ist nicht der Umfang der Beeinträchtigung entscheidend, sondern, wie sich diese Beeinträchtigung auf die Teilhabe am Leben auswirkt. Deshalb darf nicht pauschal auf den Grad der Behinderung oder den ermittelten Intelligenzquotienten (IQ) verwiesen werden.
- Nichtsdestotrotz hilft der IQ in der Praxis oft dabei, vereinfachte Annahmen zu treffen. In der Praxis wird so beispielsweise bei einem IQ von unter 50 regelmäßig von einer wesentlichen Beeinträchtigung der Teilhabemöglichkeiten ausgegangen. Und damit von einer wesentlichen geistigen Behinderung.
- Bis spätestens zum 01.01.2023 sollen die Regelungen zum leistungsberechtigten Personenkreis neu formuliert werden. Hintergrund ist, dass die aktuellen Regelungen sprachlich als nicht mehr zeitgemäß angesehen werden.
2. Welche Leistungen gibt es in der Eingliederungshilfe?
Eingliederungshilfe und die darin enthaltenen Leistungen sind sehr vielfältig. Seit dem 1. Januar 2020 sind die Regelungen nun in Teil 2 des SGB IX zusammengefasst und in vier Leistungsgruppen aufgeteilt:
Leistungen zur Sozialen Teilhabe
- Diese Leistungen stellen die behinderungsbedingt notwendige Unterstützung im sozialen Bereich sicher. Zu ihnen gehören z.B. die Unterstützung beim Wohnen und in der Freizeit sowie Leistungen zur Mobilität und heilpädagogische Leistungen.
- Besonders wichtig ist der neue § 78 SGB IX, in dem die Assistenzleistungen zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags geregelt sind.
- Seit dem 01.01.2020 gibt es eine Regelung zum sogenannten „Poolen“.
- Sie bezieht sich auf Fälle, in denen Menschen mit Behinderung die gleiche Leistung zur gleichen Zeit und am gleichen Ort benötigen. Hier kann die Leistung für zwei oder mehr Menschen mit Behinderung gemeinsam erbracht werden.
- Voraussetzung ist hierbei, dass die „gepoolte“ Leistung die jeweiligen Bedarfe deckt und für den Menschen mit Behinderung zumutbar ist. § 116 SGB IX regelt, welche Leistungen „gepoolt“ werden dürfen. Erlaubt ist das z. B. bei Assistenzleistungen, Leistungen zur Beförderung (Beförderungsdienst), sowie bei heilpädagogischen Leistungen. Andere als die dort genannten Leistungen dürfen nicht „gepoolt“ werden.
Beispiel: In einer WG wohnen zwei Menschen mit Behinderung. Diese benötigen unter anderem Assistenz bei der Führung ihres Haushalts, z. B. für beim Einkauf und Aufräumen. Die Vorschrift zum Pooling ermöglicht es, dass die beiden Menschen mit Behinderung von nur einer Assistenzkraft unterstützt werden, wenn der Unterstützungsbedarf es zulässt und das für beide zumutbar ist.
Leistungen zur Teilhabe an Bildung
- Leistungen zur Teilhabe an Bildung sind in § 112 SGB IX geregelt. Kinder, Jugendliche, sowie junge Erwachsene erhalten hierüber die aufgrund ihrer Behinderung notwendige Unterstützung in der Schule, bei der Ausbildung oder im Studium.
- Eine wichtige Leistung für Kinder mit geistiger Behinderung ist die Schulbegleitung. Zu dieser Leistung gehört seit dem 1. Januar 2020 auch die Unterstützung am Nachmittag in einer offenen Ganztagsschule. Neu ist auch hier das „Poolen“. Das bedeutet, eine Leistung wird von zwei Kindern / Jugendlichen mit Behinderung gemeinsam in Anspruch genommen.
Beispiel: Zwei Heranwachsende mit Behinderung besuchen die gleiche Klasse einer Grundschule. Ein/e Schulbegleiter*in kann beide Kinder gemeinsam im Unterricht unterstützen, wenn der Unterstützungsbedarf der Kinder es zulässt und es für beide zumutbar ist.
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
- Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören darüber hinaus auch Leistungen zur Beschäftigung (Teilhabe am Arbeitsleben). Diese sind in § 111 SGB IX geregelt.
- Neben Leistungen im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen sind seit 2018 auch das Budget für Arbeit und Leistungen bei anderen Leistungsanbietern vorgesehen.
Ab 1. Januar 2020 können junge Menschen mit Behinderung auch ein Budget für Ausbildung in Anspruch nehmen, um mit der notwendigen Assistenz eine Berufsausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu absolvieren. Für diese Leistung ist jedoch nicht der Träger der Eingliederungshilfe, sondern die Bundesagentur für Arbeit zuständig. Deshalb ist diese Leistung nicht in § 111 SGB IX aufgeführt, sondern in § 61a SGB IX.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
- Das Recht der Eingliederungshilfe sieht außerdem Leistungen zur medizinischen Rehabilitation vor. Zu den Leistungen der medizinischen Rehabilitation gehören beispielsweise die Frühförderung und die Gewährung von Heil- und Hilfsmitteln.
- Frühförderung ist in aller Regel die erste Leistung der Eingliederungshilfe, die ein Kind mit Behinderung erhält. Sie stellt zeitnah eine bestmögliche Unterstützung des Kindes und seiner Familie sicher. Leistungen der Frühförderung stehen Kindern bis zur Einschulung zu.
3. Wunsch- und Wahlrecht
- Ein wichtiger Grundsatz im Recht der Eingliederungshilfe ist das Wunsch- und Wahlrecht. Dieses ist in § 104 Abs. 2 und 3 SGB IX geregelt. Die Vorstellung des Menschen mit Behinderung zur Gestaltung der Leistung soll bei der Entscheidung über die Leistung berücksichtigt werden.
- Das Wunsch- und Wahlrecht greift, wenn ein Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe dem Grunde nach besteht, jedoch mehrere geeignete Alternativen denkbar sind. Das ist z. B. der Fall, wenn verschiedene Maßnahmen in Betracht kommen.
- Nach § 104 SGB IX muss Wünschen des Leistungsberechtigten entsprochen werden, wenn diese angemessen sind.
4. Kostenbeteiligung bei Leistungen der Eingliederungshilfe
- Leistungen der Eingliederungshilfe sind nach wie vor abhängig von Einkommen und Vermögen.
- Allerdings hat sich die Kostenbeteiligung durch das BTHG zum 1. Januar 2020 erheblich verändert. Insbesondere ist die Einkommensbeteiligung neu geregelt und ein deutlich höherer Vermögensfreibetrag eingeführt worden.
- Darüber hinaus wird nicht mehr auf das Einkommen und Vermögen der jeweiligen Partner*in abgestellt. Damit kommt es jetzt nur noch auf das Einkommen und Vermögen des Menschen mit Behinderung an. Wenn die leistungsberechtigte Person allerdings minderjährig ist und mit seinen Eltern bzw. einem Elternteil in einem Haushalt lebt, wird nach wie vor auch auf das Einkommen und Vermögen der Eltern bzw. des Elternteils abgestellt.
- Allerdings müssen sich Menschen mit Behinderung bzw. die einstandspflichtigen Eltern eines Minderjährigen nicht an jeder Leistung der Eingliederungshilfe finanziell beteiligen. Der Gesetzgeber hat bestimmte Leistungen festgelegt, die ohne Kostenbeteiligung gewährt werden. Die Heranziehung von Einkommen und Vermögen unterscheidet sich daher noch immer je nach der Art der Eingliederungshilfeleistung.